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Veröffentlicht am 21.09.2022

So finden Sie Ihren inneren Ort der Stille

Jederzeit innere Ruhe und Kraft finden, egal was um uns herum passiert – ist das möglich? Ja, sagt Antonia Kemkes, Lehrerin für Achtsamkeitspraxis, und erklärt, wie wir Schritt für Schritt zu unserem „inneren Tempel“ gelangen…

Close-up von Buddha-Statue

Der Weg zum „inneren Tempel“: Unsere Achtsamkeits-Expertin Antonia Kemkes beschreibt einfühlsam, wie man seinen inneren Kompass wieder ausrichtet. Bildnachweis: AdobeStock/Beboy

Die Sehnsucht nach einem Ort, an dem wir unsere Gedanken, Ängste und Sorgen loslassen können, an dem wir uns sicher, geborgen und aufgehoben fühlen und wieder Vertrauen in uns und in den Lauf der Dinge finden, ist immer dann besonders groß, wenn wir uns in unserem Leben mit Unsicherheiten und Bedrohungen konfrontiert sehen.

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Auf der Suche nach innerer Ruhe und Kraft: Wo können wir Ängste loslassen? Bildnachweis: iStock/golubovy

Der magische Ort der Stille in uns

Wie wäre es, wenn es tief in uns einen Ort gäbe, an dem alles ganz ruhig und friedlich ist? Einen Ort, der für uns jederzeit und überall erreichbar ist, an dem wir innere Klarheit finden und Zusammenhänge intuitiv begreifen und Lösungen entwickeln können.

Es gibt diesen Ort und wenn wir uns seiner Existenz bewusst sind und uns auf den Weg dorthin machen, öffnet sich eine Tür in uns, durch die wir immer wieder gehen können. An diesem magischen Ort – unserem inneren Tempel, können wir die Dinge wieder klar sehen und frei wählen, wie wir auf die Herausforderungen, vor die das Leben uns stellt, reagieren wollen.

Achtsamkeit ist der Schlüssel

In der Regel sehen wir die Dinge um uns herum so, wie wir sie fürchten oder so, wie wir sie uns wünschen. Unsere Wahrnehmung ist von unseren individuellen Erlebnissen und Erfahrungen geprägt, sie ist verfärbt von unseren Gedanken, das Bild ist nicht klar.

Unsere Gedanken sind oft wild und wirr und, wenn wir nicht aufpassen, die meiste Zeit negativ. Sie können sehr laut sein und das übertönen, was wir eigentlich wollen und sind: pures Sein. Wenn wir nicht achtsam sind, können negative und unbewusste Gedanken das Steuer in unserem Leben übernehmen, ohne dass wir es bemerken. Dann haben wir das Gefühl, unser Leben passiert uns. Wir lassen uns mitreißen vom Strom der Gesellschaft oder anderen systemischen Erwartungen. Wir agieren nur noch aus Gewohnheit oder aus Pflichtgefühl. Wir sind nicht bewusst.


Wenn wir Achtsamkeit ernsthaft und regelmäßig praktizieren, spüren wir, dass sich nach und nach ein klarer und stabiler Geist entwickelt, auf den wir auch in schwierigen Situationen zurückgreifen und uns mit einer neu gewonnenen inneren Ruhe und Klarheit verbinden können.

Die Achtsamkeit überreicht uns feierlich den Schlüssel zu unserem inneren Tempel, in dem wir jederzeit Ruhe und Kraft finden, egal, was um uns herum passiert.

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Bewusst werden: Wer regelmäßig Achtsamkeit trainiert, kann seinen Blick wieder schärfen. Bildnachweis: Unsplash/Birger Strahl

Den Weg durch das Gestrüpp der Gedanken finden

Gerade in herausfordernden Zeiten verlieren wir uns im Wirrwarr unserer Gedanken, Gefühle, Ängste und Sorgen. Der Eingang zu unserem inneren Ort der Ruhe und Kraft bleibt uns verborgen, denn er liegt hinter den Gedanken.

Stellen wir uns eine wild wuchernde Wiese vor. Um uns einen Weg durch das hohe Gras zu bahnen, müssen wir unsere Füße bewusst heben und die Grashalme nach unten treten. Zunächst einmal wird sich das Gras hinter uns wieder aufrichten und wir werden den Weg beim nächsten Mal nicht auf Anhieb wiederfinden, sondern müssen uns wieder neu orientieren und ausrichten. Wenn wir den gleichen Weg immer wieder gehen, entsteht Schritt für Schritt ein Trampelpfad, ein Weg, der schon von Weitem für uns sichtbar ist und den wir nun immer leichter entlanggehen können.

Je länger wir Achtsamkeit üben, umso klarer und deutlicher wird dieser Trampelpfad für uns erkennbar und Schritt für Schritt entsteht aus unserem Inneren heraus ein individueller Weg, der uns hinter die Gedanken an den Eingang zu unserem inneren Tempel führt.

Geistige Hygiene

Die Mönche in den Tempeln Thailands haben sich oft kopfschüttelnd darüber gewundert, dass wir Menschen in der westlichen Welt so viel Zeit am Tag für Körperpflege verwenden. Dagegen vernachlässigen wir in ihren Augen die geistige Hygiene komplett und überschütten unseren Geist stattdessen mit einer überwältigenden Menge an Informationen, die er kaum verarbeiten und verkraften kann.

Genauso, wie wir uns jeden Tag Zeit nehmen, um unsere Zähne zu putzen, sollten wir uns auch jeden Tag Zeit dafür nehmen, unseren Geist ordentlich durchzufegen. Es fühlt sich gut an, mit einem reinen und klaren Geist in den Tag zu starten oder den Tag in Stille zu beenden, die Eindrücke zu klären und vor dem Schlafen zur Ruhe zu kommen.

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Den Geist ebenso pflegen wie den Körper, das empfiehlt die Achtsamkeitspraxis-Lehrerein Antonia Kemkes. Bildnachweis: Stocksy/BONNINSTUDIO

Jeden Tag abtauchen in den inneren Tempel

Es tut gut, jeden Tag etwas Raum und Zeit nur für sich zu beanspruchen und abzutauchen in unseren ganz persönlichen Alltagstempel. Hier dürfen wir alles andere außen vorlassen und ganz bei uns bleiben. Wir ziehen uns zurück auf unsere persönliche Achtsamkeitsinsel.

Wenn wir dafür eine bestimmte Zeit festlegen, gibt das dem Tag Struktur und uns das gute Gefühl, etwas für unser Leben zu tun. Das Schöne ist, dass die Effekte sehr schnell spürbar werden. Der Geist wird klarer, der Nebel lichtet sich und schon nach kurzer Zeit geht man mit einem anderen Gefühl und deutlich bewusster durch den Tag.

Die Methoden der formellen Achtsamkeitspraxis sind besonders gut dafür geeignet, den Trampelpfad durch das Gestrüpp der Gedanken entstehen zu lassen. Meditation, die bewusste Fokussierung des Geistes auf die Atmung, Yoga und der Bodyscan zählen dazu. Wenn wir den tiefen Wunsch haben, mehr Achtsamkeit und Bewusstsein in unser Leben zu bringen, sollten wir dem formellen Achtsamkeitstraining einen festen Platz in unserem Alltag zugestehen. Jeden Morgen oder Abend zehn bis zwanzig Minuten bringen uns Schritt für Schritt auf den Weg zu unserem inneren Tempel.

Das Etablieren einer regelmäßigen täglichen formellen Achtsamkeitspraxis ist wie eine Insel, auf der wir jeden Tag für eine Zeit ganz zu uns kommen dürfen, unabhängig davon, was um uns herum geschieht. Die Yoga-Matte oder ein Meditationskissen können eine solche, ganz persönliche Achtsamkeitsinsel inmitten eines Alltags sein, der mal mehr und mal weniger turbulent ist. Der Ort, an dem wir bei uns einkehren und in unserem inneren Tempel Ruhe, Klarheit und Frieden finden können. Es ist wichtig, sich immer wieder aus allen alltäglichen Bezügen herauszuziehen und allein zu sein, um sich in sich selbst auszuruhen.

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Auf dem Weg zum inneren Tempel hilft es, eine eigene Achtsamkeitsinsel im Alltag zu schaffen. Bildnachweis: Unsplash/Aaron Visuals

Übung: Den Atem in die Mitte sinken lassen

Nur wenige Atemzüge trennen uns von unserem inneren Tempel, dem Ort, an dem wir wieder ganz zu uns zurückkommen und in unserer Mitte ruhen können.

Richten Sie sich aus Ihrer Mitte heraus auf und schließen Sie Ihre Augen. Mit der nächsten langen Ausatmung lassen Sie Anspannungen los. Schultern, Nacken und Stirn sind entspannt. Lenken Sie die Wahrnehmung zu Ihrer Atmung und lassen sie lang und fein durch die Nase ein- und ausströmen. Lassen Sie Ihren Atem mit jeder langen Ausatmung behutsam tiefer in sich hineinsinken, bis Sie das Heben und Senken Ihrer Bauchdecke spüren. Achten Sie dabei darauf, dass Sie vollständig ausatmen und dabei ganz loslassen. Wenn Sie möchten, legen Sie dabei eine Hand auf Ihren Bauch. Verweilen Sie nach jeder Ausatmung einen Moment. Lassen Sie sich in Ihre Mitte, Ihren inneren Tempel sinken. Nach ein paar Momenten vertiefen Sie Ihre Einatmung, öffnen die Augen und kommen zurück in den Raum.

Das Geschenk der Stille

Warum fällt es uns oft so schwer, den Weg zu unserem inneren Tempel zu gehen? Aus Angst vor dem, was uns begegnet, wenn wir uns der Stille ausliefern, tun wir unbewusst alles dafür, dieser Stille und vermeintlichen Leere in uns nicht zu begegnen. Wenn wir den Mut finden, den Weg nach innen zu gehen, hält die Stille ein wundervolles Geschenk für uns bereit.

Im Alltag sind wir selten allein, Ablenkung gibt es mehr als genug. Für die Stille muss man sich aktiv entscheiden. Unser Leben ist durchtränkt von Lichtern, Bildern, Geräuschen und Farben, ständig liefern wir uns äußeren Reizen aus. Im Auto läuft Musik, in der Wohnung der Fernseher, beim Spazierengehen der Podcast. Wir sind Profis darin, uns permanent zu beschäftigen. Auch wenn es eigentlich gar nichts zu tun gibt, halten wir es kaum aus, einfach nur auf dem Sofa zu sitzen und nichts anderes zu tun, als unserem Atem zu lauschen. Stille wird uns immer fremder.

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Abstand, um wieder klar zu sehen: Es hilft, sich ab und an in das eigene Schneckenhaus zurückzuziehen. Bildnachweis: iStock/ViktoriiaNovokhatska

Stille, Ruhe und innere Einkehr sind womöglich für einige von uns deshalb so beängstigend, weil man in solchen Momenten mit sich selbst in Kontakt treten muss. Ist das mit negativen Gefühlen und Ängsten verbunden, flüchten wir uns lieber in unsere selbst etablierten Vermeidungsstrategien. Die Stille zu vermeiden, bedeutet also letztendlich, sich selbst zu vermeiden. Wenn wir uns allerdings trauen, uns der Stille auszuliefern, können wir uns mit unseren Wünschen und Ängsten verbinden.

Die Stille erlaubt es uns, mit uns in Kontakt zu treten, uns selbst kennenzulernen und unsere innere Stärke und Stimme wiederzufinden. Der Raum, der sich auftut, wenn wir uns der Stille anvertrauen, ist nicht beängstigend leer oder gar erdrückend, langweilig oder beengend. Es ist vielmehr ein Gefühl von Weite, Freiheit und Unendlichkeit, das sich einstellt, wenn wir lange genug ganz bei uns bleiben. Wir fühlen uns nicht allein und verloren, sondern in einem nie da gewesenen Kontakt mit uns selbst und allem, was uns umgibt. Aus dem Gefühl heraus, getrennt zu sein von allem, was uns umgibt, entsteht unser Leiden, wusste schon Buddha. Doch je tiefer wir in unseren inneren Tempel vordringen, umso mehr löst sich dieses dualistische Empfinden auf und geht in ein Gefühl der umfassenden Verbundenheit über.

Die Schnecke zieht sich ab und zu in ihr Schneckenhaus zurück, sie nimmt Abstand von allem und findet ihre innere Ruhe wieder. So wie sich die Spirale auf dem Schneckenhaus auf einen Punkt konzentriert, können wir uns innerlich sammeln und zentrieren, können uns zurückziehen und in unserer Mitte zu uns finden, in den inneren Tempel eintauchen und uns in einem Gefühl von absoluter Ruhe, Klarheit und Verbundenheit finden und sinnvoll neu ausrichten und dem Leben mit neuer Kraft begegnen.

Titelbild von "Finde den Tempel in dir"
Titelbild "Der kleine Achtsamkeitscoach"
Titel von "Mit Buddha zu innerer Balance"
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